Stephanie Stöger Physiotherapeutin
Die Beckenbodengymnastik wird vor allem bei Inkontinenzbeschwerden verordnet.
Der Beckenboden ist ein Muskelgeflecht, das die untere Begrenzung des Beckens zwischen Schambein, Steißbein und den beiden seitlichen Sitzbeinknochen bildet.
Der Beckenboden und die dazugehörigen Bänder stützen die Beckenorgane (zum Beispiel Blase, Gebärmutter) und den Blasenschließmuskel.
Druck- und Sogkräfte des Zwerchfells ( größter und wichtigster Muskel für die Einatmung) stimulieren die Muskeln des Beckenbodens.
Ein gut funktionierender Beckenboden sichert die Kontinenzfähigkeit, d.h. die kontrollierte Abgabe von Urin und Stuhl.
Die Fähigkeit, dass ein Beckenboden "pulsiert", zeigt, dass ein Wechsel von An- und Entspannung des Beckenbodens möglich ist, was auch beim Geschlechtsverkehr von Bedeutung ist.
Inkontinenz ist das Unvermögen Harn oder Stuhl zu halten und kontrolliert abzugeben. Dabei können die Ursachen recht vielfältig sein. Das Zusammenspiel des Systems aus Blasen-, Schließ- und Beckenbodenmuskulatur funktioniert meist nicht mehr richtig.
Circa 7 – 10 Millionen Betroffene gibt es allein in Deutschland. Davon sind zwar die meisten weiblichen Geschlechts, aber auch viele Männer kennen diese Problematik: ein Lachen oder Niesen und schon läuft es, der Sport kann nicht mehr so ausgeübt werden (vor allem Springen und Hüpfen), häufiger nächtlicher Toilettengang.
Aufgrund der breiten Beckenstellung von Frauen, sowie ihres schwächeren Bindegewebes (beides ist vor allem für die Schwangerschaft und die Entbindung sehr wichtig), sind Frauen häufiger von einer (Belastungs-)Inkontinenz betroffen als Männer.
Bei Männern entsteht eine Belastungsinkontinenz besonders nach Operationen, bei Prostatakrebs oder durch Verletzungen.
Jedoch wird darüber nicht offen gesprochen. Es ist leider immer noch ein gesellschaftliches Tabu, wenn ungewollt Harn, Wind oder gar Stuhl abgeht. Dies führt oft zu großer seelischer und körperlicher Belastung. Ein „Aushalten“ verschlimmert die Situation nur und ohne professionelle Hilfe und Therapie verschlechtert sich kontinuierlich auch eine labile Kontinenz.
In allen Fällen ist ein ärztlicher Besuch erforderlich und sehr oft kann auch konservativ (zum Beispiel mit Beckenbodengymnastik) geholfen werden. Wichtig für den langfristigen Erfolg ist ein funktionstüchtiger Beckenboden.
Manchmal helfen bereits Veränderungen von Alltagsgewohnheiten (zu häufiger Gang zur Toilette, auch wenn kein Harndrang besteht; falsches Trinkverhalten). Dieses findet der Arzt oder Therapeut bald im Gespräch und / oder mit Hilfe von Miktionsprotokollen heraus (Protokollierung über Zeitpunkt und Menge der Flüssigkeitsaufnahme / - abgabe).
Mit dem richtigen Fahrradsattel kann insbesondere bei Männern die Gefahr einer drohenden oder eine existierende Inkontinenz reduziert werden.
Außerdem sind belastungsarme Bewegungen im Alltag sehr wichtig, wie zum Beispiel:
Richtiges Husten und Niesen durch „Hustendreh“ und „Niesrück“
Schonendes Aufstehen und Hinlegen über die Seite
Entlastendes Bücken
Mit einem gut trainierten Beckenboden kann eine Inkontinenz reduziert oder sogar beseitigt werden.
Den Beckenboden als Muskel zu „spüren“ ist gerade am Anfang nicht ganz einfach, sodass zunächst auf alle Fälle Einzeltherapien empfehlenswert sind.
Später lässt sich der Beckenboden auch gut in einer Gruppe weiter trainieren. Hier werden vielerorts spezielle Gruppenstunden für Beckenbodengymnastik angeboten, die von extra ausgebildeten Physiotherapeuten geleitet werden.
Gerade in den letzten Jahren hat ein großer Wandel in der Therapie des Beckenbodens stattgefunden. Während zu Beginn der Beckenboden rein isoliert trainiert wurde, geht man mittlerweile von einer reflektorischen Arbeit des Beckenbodens aus. Das bedeutet, ein gesunder Beckenboden reagiert auf unterschiedlichen Druck mit An- und Entspannung und mit Anpassung an den Atemrhythmus, die Körperstellung mit oder gegen die Schwerkraft, sowie auf thermische Reize. Dehnung und Kontraktion, die Wechselspannung des Beckenbodens, werden beispielsweise über Laute und Atemworte physiologisch reaktiviert. Der Ausatem-Widerstand aktiviert die Anhebung des Beckenbodens. Die nachfolgende spontane Einatmung löst die Spannung, der Beckenboden senkt sich. Über die richtige Atemtechnik lernt der Patient, Einfluss auf seinen Beckenboden zu nehmen.
Ziel ist auch hier wieder (wie das Konzept unserer Praxis überhaupt) das ganzheitliche Arbeiten, das heißt, den Beckenboden nicht isoliert, sondern mit Einbeziehen des gesamten Körpers zu trainieren. Dazu gehören sowohl die richtige Atmung und damit verbunden ein gut funktionierendes Zwerchfell, sowie eine möglichst optimale Beckenstellung (siehe Lage des Beckenbodens).
Damit die Beckenbodengymnastik nicht nur effektiv ist, sondern auch Spaß macht, gibt es
eine ganze Reihe von Übungen mit einem Beckenbodenball. Dieser spezielle Ball „fängt“ den
Beckenboden besser auf und unterstützt diesen so, dass er sich gut ohne große Anstrengung
trainieren lässt.
Auf dem Beckenbodenball im Sitzen hüpfen (dies ist wirklich nur mit einem Beckenbodenball empfehlenswert, da man sonst dem Beckenboden schaden würde)
Im Sitzen auf dem Ball das Becken kreisen
In der Rutschhalte den Beckenboden entlasten
Die Beckenbodengymnastik ist also nicht nur etwas für Inkontinenzbetroffene. Ein prophylaktisches Training eines schwachen Beckenbodens ist in jedem Fall zu empfehlen.
Scheuen Sie sich nicht, Ihren Arzt oder Physiotherapeuten anzusprechen. Gerne bin ich auch bereit Ihre Fragen per E-Mail zu beantworten.